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Gedanken im Kontext der Corona-Krise

Datum:
Veröffentlicht: 3.4.20
Von:
HA PP
Liebe Mitbrüder, was für eine verstörende, fast unheimliche Zeit. Auch uns Priester hält die Corona-Krise in ihrem Bann. Da sind meine persönliche Unsicherheit und meine Sorgen, auch um Menschen, die mir am Herzen liegen. Da sind Fragen, die mir mein Glaube nicht erspart; Fragen vor allem an Gott selbst, von dem ich zwar weiß, dass er sich immer wieder verbirgt, der aber nun meinen Glauben auf die Probe stellt – und auf den ich doch meine Hoffnung setze. Ich baue darauf, dass er diese Welt trotz allem, was zurzeit geschieht, in seiner bergenden Hand hält.

Rundbrief April 2020 an die Mitglieder der Priestergemeinschaft der Unio Apostolica im Erzbistum Bamberg

Bamberg, den 30. März 2020

Liebe Mitbrüder,

was für eine verstörende, fast unheimliche Zeit. Auch uns Priester hält die Corona-Krise in ihrem Bann. Da sind meine persönliche Unsicherheit und meine Sorgen, auch um Menschen, die mir am Herzen liegen. Da sind Fragen, die mir mein Glaube nicht erspart; Fragen vor allem an Gott selbst, von dem ich zwar weiß, dass er sich immer wieder verbirgt, der aber nun meinen Glauben auf die Probe stellt – und auf den ich doch meine Hoffnung setze. Ich baue darauf, dass er diese Welt trotz allem, was zurzeit geschieht, in seiner bergenden Hand hält.

Und da ist mein priesterlicher Dienst. Meine und Eure Kernaufgabe, nämlich Seelsorge zu gewährleisten, ist weithin blockiert – zumindest, was die „normalen“ Vollzüge angeht. Umso bewundernswerter die Kolleginnen und Kollegen in den Pastoralteams und in den kategorialen Bereichen, die jetzt Seelsorge aufrechterhalten und den Gläubigen nicht nur versichern, sondern auch zeigen: Wir sind weiterhin für Sie da! Wir versprechen ihnen: Wir sind für Sie da!

Wir sind für Sie da – das heißt z. B.: Wir beten für Sie und mit Ihnen, auch wenn wir räumlich getrennt sind. Wir feiern im leider nur kleinen Kreis die Eucharistie, aber Sie wissen darum und können geistlich dabei sein. Wir legen Ihre persönlichen Anliegen mit auf den Altar.

Wir sind für Sie da – das heißt auch: Wir lassen uns gern von Ihnen anrufen, hören Ihnen zu, versuchen, Ihnen Antwort und Zuspruch zu geben. Wir stellen Ihnen Informationen, Gebetstexte, geistliche Impulse zur Verfügung, nicht nur über E-Mails und Internet, sondern auch über Handzettel, die jene unter Ihnen erreichen, die nicht online sind. Aber natürlich gibt es auch Videoclips und Livestreams von Gottesdiensten. Wir versichern Ihnen: Wir sind für Sie da!

Vor allem gilt das für unsere Kernvollzüge, soweit es nur geht. Wir haben nicht aufgehört, Krankensalbungen zu spenden, Klinikseelsorge anzubieten, Verstorbene zu beerdigen. Wir erwägen trotz aller Einschränkungen Wege, jenen unter Ihnen, die es wünschen, die Kommunion zu reichen. Wir wollen gerade jetzt – wenn auch auf andere Weise als sonst – bei Ihnen sein: mit Zuspruch und Segenspendung und zugleich mit der Bitte an Sie um Rat und Unterstützung.

Wir sind für Sie da – das fordert uns, liebe Mitbrüder, auch als Theologen, als Geistliche, als Männer Gottes. Es ist unsere Sache, die Rede von Gott in unserer Gesellschaft lebendig zu halten. Dafür stehen wir. Viele von uns fragen: Wo kommt Gott in der Corona-Berichterstattung vor? Wo steckt Gott in unseren kirchlichen Aktivitäten? Nicht immer ist er sichtbar.

Die ARD-Tagesthemen am 27. März haben es geschafft, 27 Minuten über die Corona-Krise zu berichten – einschließlich Covid-19-Test beim britischen Premierminister –, um dann noch Kurzmeldungen anzufügen und ganz am Schluss zwischen EU-Düngemittelverordnung und Wetter ein paar Bilder vom eindrucksvollen Gebet unseres Papstes auf dem leeren Petersplatz zu zeigen. Dazu (im Gegensatz zur Berichterstattung beim ZDF) keine irgendwie wertschätzende Bemerkung. Die Ab-Moderation lautete: „So, und jetzt brauchen wir noch Aufmunterung von Sven mit schönem Wetter.“ Die Papstpredigt, die Rede von Gott, das Gebet – Nebensache?

Manche von uns befürchten das. Sie wünschen sich mehr Präsenz der Kirche in Berichterstattung und Öffentlichkeit. Wir selbst müssen aufpassen, dass Verfahrensregeln, die es jetzt natürlich auch in Kirche und Liturgie braucht, und dass unsere aktuellen pastoralen Aktivitäten nicht das Eigentliche zudecken. Das Eigentliche ist unser Gotteszeugnis. Und das kann derzeit nur heißen: Gott ist da, obwohl Corona da ist. Wenn unsere Botschaft „Wir sind für Sie da“ zur Botschaft wird: „Er ist für Sie da“, dann passt’s. Dann ziehen wir unsere Trümpfe.

Dann kommen wir freilich am stets herausfordernden Theodizeeproblem nicht vorbei. Warum lässt Gott die Corona-Krise zu? Dieses Elend in italienischen Kliniken? Diese Sorgen auch bei uns? Diese vielen Toten? Warum greift Gott nicht ein? Dann kommen wir auch am gekreuzigten Christus nicht vorbei; am „gekreuzigten Gott“, wie Jürgen Moltmann sein bekanntes Buch betitelt hat; an diesem Gott, der selbst im Kreuz ist und mit dem Leidenden leidet.

Wir kommen aber auch nicht vorbei an Fragen, die Menschen und wir selbst an diesen Gott richten; an den Klagen, die er sich gefallen lassen muss; an der Vorläufigkeit unserer Antworten auf die Theodizeefrage. Vom guten und nahen Gott zu reden, ist nicht leicht in solch einer Zeit.

Trotzdem müssen wir’s. Menschen suchen nicht billigen, sondern verlässlichen Trost und Halt in dieser Krise; brauchen Worte und Zeichen der Hoffnung; ersehnen Gotteserfahrungen jetzt. Da können bescheidene Zeichen – Glocken vom eigenen Kirchturm, Kerzen im Fenster, Fotos der Gemeindemitglieder auf den Kirchenbänken – ihren Beitrag leisten. Wenn sie denn auf Gott hinweisen, der das große Mysterium unseres Lebens ist und über den Teresa von Avila sagt: "Gott ist so groß, dass es wohl wert ist, ihn ein Leben lang zu suchen." Sobald die Menschen fähig sind, zu diesem Mysterium „Du“ zu sagen – also zu beten –, erfahren sie hoffentlich: Gott ist da. Er ist nicht unpersönliche Macht, sondern an unserer Seite. Leid ist nicht gottlos.

Kirche ist in der Gesellschaft präsent, wenn sie die Gottesfrage wachhält, und sie ist bei ihren Gläubigen präsent, wenn sie ihnen beisteht, Gott zu erfahren. Nur so nutzt Kirche ihre Trümpfe. Und nur so kann sie bekunden: Nicht bloß „Wir sind für Sie da“, sondern „Gott ist für Sie da“.

Gute Wünsche Euch allen und gesegnete Kar- und Ostertage

Euer Mitbruder Hans Schieber