Missbrauch, Verletzung, Vertuschung, Lüge?
Gestern war ich dabei, ein Liedblatt zu erstellen. Als Eingangslied war eigentlich das Lied „Ein Haus voll Glorie schauet“ geplant. Es ist ein Lied, was mir persönlich sehr gefällt, es ist irgendwie erhebend. Aber im Kontext der jüngsten Berichterstattung über die Kirche und der Studie zum sexuellen Missbrauch bleibt einem dieses gloriose Lied über die Kirche im Halse stecken.
Was derzeit diskutiert und hoffentlich umfassend aufgearbeitet wird, berührt die Kirche in ihren Grundfesten. Nicht nur in der Kirche in Deutschland, auch in anderen Ländern sind entsprechende Erkenntnisse zusammengefasst und der Öffentlichkeit präsentiert worden. Mir kam in diesem Zusammenhang der oft zitierte Satz des französischen Theologen Alfred Loisy (1857–1940) in den Sinn, der etwas zugespitzt formulierte: „Jesus verkündete die Botschaft vom Reich Gottes und gekommen ist die Kirche“. Kritisch gelesen bestätigt sich dieser Satz für viele Menschen, auch für viele Christen und gläubige Katholiken, die von der Kirche enttäuscht, oder gar verärgert oder geschockt sind. Wie kann in der Kirche als Heilsgemeinschaft so etwas möglich sein – Missbrauch, Verletzung, Vertuschung, Lüge? Von Missbrauch und Machtmissbrauch ist die Rede, von einer notwendigen Veränderung der Strukturen, allem voran die Auflösung des Pflichtzölibats. Die Studie stellt fest, dass Homosexualität und der Zölibat nicht die Ursachen für den sexuellen Missbrauch sind, wohl aber Risikofaktoren sein können. Welche Maßnahmen können getroffen werden, damit die Menschen der Kirche und ihren Vertreter wieder trauen können? Was ist unwiederbringlich zerbrochen worden, wo wenden sich nun Menschen endgültig von der Kirche ab? Vieles wird in der nächsten Zeit dazu veröffentlicht werden, viel wird auch kirchenintern diskutiert werden. Die Frage nach der Reue und der Schuldeingeständnisse der Täter, die viele Opfer vermissen, steht ebenso im Raum. Die Institution Kirche ist an einem Punkt angelangt, wo es um Authentizität geht, um Offenheit und vielleicht um die Frage „Was würde Jesus dazu sagen und tun?“
Ich habe das Eingangslied von dem Liedblatt ausgetauscht gegen das Lied „Sonne der Gerechtigkeit“. Von Christus als der Sonne wird da gesungen, von Erbarmen, vom Schlaf der Sicherheit, aus dem wir aufwachen sollen. Christus das Licht, das in die Dunkelheit von Klerikalismus und Machtmissbrauch leuchtet und neue Wege zeigt zu gegenseitiger Wertschätzung, Barmherzigkeit und Demut.
Michael Schofer
Diakon Michael Schofer
Arbeitsstelle Ständiger Diakonat
Männerseelsorge